#5 Kolumbien – Dez24/Jan25

Medellín und die Mitte Kolumbiens, von Kaffee, Wein und Willy – Jan25

In Berichten von Langzeitreisenden hatte ich schon mal über den sog. Reiseblues, also einer großen Leere und Reisemüdigkeit gelesen, die sich irgendwann in langen Reisen einstellen soll. Nun, so schlimm ist es bei mir nach gut 3 Monaten zum Glück noch nicht, aber ich stelle schon fest, dass ich etwas abstumpfe, wenn das Besondere, das Schöne zum täglichen Normal wird. Da trifft es sich gut, dass ich auf meiner nächsten Etappe Marion in der Salsa-Hochburg Cali wieder treffen werde, wo sie mehrere Tanzkurse besucht. Wie schön, mit ihr nochmals ein paar Tage miteinander verbringen zu können, nachdem unsere gemeinsame Reise im November ja am Titicacasee so abrupt geendet hatte. Ja, und noch eine weitere gute Nachricht gibt es! Mein Sohn Paul hat gerade sein Jura-Staatsexamen mit Bravour bestanden und will den Erfolg während einer Perureise ausgiebig feiern. Der Termin passt, wir können uns Ende Februar in Lima treffen und zumindest ein Teilstück zusammen reisen. Welche Freude, dass er den Urlaub mit seinem alten Herren verbringen möchte!

Aber jetzt geht es erstmal in die Mitte und den Süden Kolumbiens, nach Medellín und in die sog. Kaffee-Zone, um dann an besagtem Cali vorbei wieder zurück nach Ecuador zu fahren.

Der Weg weg von der Küste steigt gleich mal steil auf über 2000m an und bringt mich an einer Fruchtsaftbar vorbei, deren Besitzerin mir die verfügbaren frischgepressten Fruchtsäfte einfach aufschreibt, weil ich mal wieder nichts verstehe. Der Guanabasaft mit Milch schmeckt köstlich, wie eine Mischung aus Bananen- und Maracujasaft.

Medellín ist extrem, sehr extrem, viele moderne Geschäfts- und Wohnhochhäuser neben hippen Ausgehvierteln und dazwischen Fußgängerzonen mit schlafenden Obdachlosen und Drogensüchtigen, die sich am hellichten Tag gerade die Nadel setzen. 

Um etwas Anschluss in der großen Stadt zu finden, schreibe ich in Facebook eine lokale Motorradfahrergruppe an. Mit Erfolg! Morgen ist Sonntag und sie nehmen mich mit auf eine  Runde nach Guatapé, einem touristischen Städtchen an einem Stausee. Da macht auch das Fahren auf grobem Schotter wieder Spass, andere Biker vor und hinter sich wissend, die einem im Zweifel helfen würden. Neben mir besteht die Gruppe ausschließlich aus Europäern, Nordamerikanern und einem Libanesen, die alle irgend einem Business in Medellin nachgehen und teilweise sogar komplett remote arbeiten. Schon eine verrückte Welt. Noch verrückter aber ist ihre Fahrweise. Anfänglich komme ich auf den leeren Straßen und auf Schotter ja noch gut mit. Aber als sich am Abend aus dem Sonntagrückreiseverkehr ein kilometerlangen Stau bildet, überholen die Jungs ohne Rücksicht auf Verluste, mit anderen Worten, wie die einheimischen Motorradfahrer auch. Das ist mir dann doch eine Nummer zu viel, zumal ich vergessen hatte, meine breiten Koffer im Hotel zu lassen.

Eine bedeutende Sehenswürdigkeit Medellins ist die Comuna13, eines der vielen armen Barrios, die wild in die unzugänglichen Hänge Medellíns gebaut wurden. Seit, wie in La Paz, Kabinenbahnen die Barrios mit der Innenstadt verbinden, geht es aufwärts mit diesen Stadtvierteln. Insbesondere mit der Comuna13, wo zusätzlich noch Rolltreppen gebaut wurden, um sich im Viertel besser bewegen zu können. Im letzten Jahrtausend herrschte hier noch ein brutaler Bandenkrieg, in dem viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Im wesentlichen ging es um das große Geld, das mit Kokain zu machen ist. Als Cocarohmasse kam es von Peru nach Medellín und wurde hier verarbeitet. Von hier aus wurde dann der Weitertransport in den Norden organisiert. Besonders hervorgetan hatte sich dabei der Drogenbaron Pablo Escobar, der vor seinem Tod ein unglaubliches Vermögen angehäuft hatte. Da er davon ein bisschen was an die Armen weitergab, wird er teilweise heute noch verehrt. Sollen sie von mir aus machen. Aber wie sich manche Touristen hier neben einem Escobar-Double mit einem Bündel falscher Dollarnoten ablichten lassen, das finde ich geht zu weit und verklärt die vielen Morde, die der Herr zu verantworten hat. Eine perfide Methode war zum Beispiel, ein unbedarftes Opfer wie einen Staatsanwalt oder Richter während des Babierbesuches zu ermorden, denn während des 15minütigen Vorganges war das potentielle Opfer quasi wehrlos und die überall im Viertel verteilten Spitzel hatten genug Zeit, den Auftragsmörder zu rufen!

Um die Comuna13 zu besichtigen, buche ich zum ersten Mal auf meiner Reise eine geführte Tour. Eine gute Idee, so bekomme ich viel mehr Insiderwissen über das Barrio und lerne gleich noch andere Weltreisende kennen. Nach einem langen und brutalen Kampf ist das Barrio nun befriedet und aus den Gewalttätern von einst sind heute Brakedancer, HipHopper oder Graffiti-Künstler geworden, oder sie verkaufen Getränke und Snacks an die vielen Touristen. Manche Anwohner berichten auch als Zeitzeugen von der schlimmen und hoffentlich nie mehr wiederkehrenden Zeit. Der Drogenhandel an sich konnte natürlich nie gestoppt werden. Die Wege gehen jetzt halt, vorbei an Medellín, durch den dicht belaubten und undurchdringlichen pazifischen Dschungel Kolumbiens.

Weiter südlich von Medellín liegt auf 2000m Höhe die sog. Kaffeezone, wo unter optimalen Bedingungen der kolumbianische Kaffee angebaut wird. Manche Kaffee-Fincas bieten neben schönen Übernachtungsmöglichkeiten auch Kaffeetouren an. So erfahre ich zum Beispiel. dass der Kaffee rot, gelb oder grün geerntet wird, der höherwertige Rote in den Export geht und der minderwertige Grüne im Land bleibt. Oder warum es hier immer so komisch richt. Das liegt an den bunten Schädlingsfallen für den Kaffeebeerenbohrer, die mit Ethanol gefüllt sind. Leider stehen die Maschinen zur weiteren Verarbeitung still, da gerade keine Erntezeit ist. Nebenbei erfahre ich aber endlich, warum es in Kolumbien keinen Wein gibt. Guter Wein braucht viel Tageslicht. Und anders als in unserem Sommer scheint hier am Äquator die Sonne am Tag nur 12h und das scheint für einen guten Wein nicht zu reichen.

Gleich in der Nähe befindet sich der kleine Ort Salento mit seine farbenbunten Häuschen. Ich habe Glück, dass ich weder am Wochenende noch in der Ferienzeit hier bin, denn da wird der Ort regelrecht überrannt. Salento ist der Ausgangspunkt für Wanderungen im Valle de Cocora. Die 11km dahin fährt man am besten mit den sog. Willy-Jeeps, die hier in der Kaffeezone sehr verbreitet sind und in diesem Fall als Touristen-Taxis dienen. Mit etwas Glück ergattert man einen Freiluftplatz auf der hintern Stoßstange. Der Name Willy stammt übrigens von der amerikanischen Firma Willy-Oberland ab, die ursprünglich den Vertrieb für Jeeps organisierte, besonders nach dem 2. Weltkrieg, als die Army noch viele Jeeps auf Lager hatte und diese gut von den Kolumbianischen Bauern gebraucht werden konnten.

Die Hauptattraktion des Cocora-Tales sind eigentlich die bis zu 60m hohen Wachspalmen, dem Nationalbaum Kolumbiens, die in dieser Konzentration nur noch hier vorkommen. Wenn ich mir aber die Schlange vor einem Fotopoint so ansehe, scheinen Selfies heutzutage wichtiger zu sein, als die eigentliche Attraktion selbst. Naja, ich werde wohl langsam ein alter Grandler.

Mein letztes Ziel in Kolumbien ist die Salsa-Hauptstadt Cali, im der ich mal wieder richtig viel Glück im Unglück habe, denn kurz vor der Millionenstadt fängt meine Gabel an zu lecken. Das Gabelöl läuft richtiggehend raus. Aber das Motorradfahrernetzwerk funktioniert auch ohne ADAC. Ruckzuck ist eine BMW-Werkstatt gefunden, die mir flugs neue Dichtungen aus dem gegenüberliegenden KTM-Laden einbaut. Ja und dann treffe ich endlich meine anfängliche Reisebegleiterin Marion wieder, die natürlich zielsicher wie immer das schönste Hotel im Ganzen Ort gefunden hat, Parken in der Hotel-Lobby natürlich eingeschlossen. Gemeinsam Entscheidungen zu treffen habe ich seit unserer Trennung im November mit unter schon sehr vermisst. November! Wow, ist das schon wieder so lange her? Es gibt natürlich viel zu bereden und gemeinsam erkunden wir nochmals diese grosse Stadt.  Auf einer geführten Tour erfahren wir z.B., dass die Stadtkirche dem Ulmer Münster nach empfunden ist. Oder dass die Fahnen der drei Länder Ecuador, Venezuela und Kolumbien deswegen fast gleich sind, weil sie alle aus Grosskolumbien hervorgingen, das einst von dem hier allgegenwärtigen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar von den Spaniern befreit wurde. Aber Cali ist v.a. Salsa, der hier besonders am Wochenende auf den Weggehmeilen getanzt wird, oder in Tanzstudios, wo Marion gerade ihre halbprofessionellen Fähigkeiten weiter verbessert. Salsa steht für Soße und ist maßgeblich durch Lateinamerikanische Emigranten in Nordamerika entstanden, die in ihren Tanzsession viele andere Lateinamerikanische Tänze vermischten. Aber Salsa bedeutet auch eine neue Identität und Selbstbewusstsein für diese Stadt, die als so gefährlich gilt und vor der uns alle Kolumbianer gewarnt hatten. Vielleicht hatten wir ja nur Glück, aber wir fühlten uns in Cali sehr wohl und waren wie immer in Kolumbien von der warmherzigen und offenen Art der Kolumbianer begeistert.

Umso schwerer fällt es uns, sich nach 3 kurzen Tagen schon wieder zu verabschieden. Marion muss bald zurück nach Deutschland und für mich steht der Grenzübergang nach Ecuador an, denn ich will ja rechtzeitig nach Peru, um Paul zu treffen.

Der Karibische Norden – Jan25


Nach den faulen Tagen während Weihnachten und Silvester ist es Zeit, endlich die Pferde wieder zu satteln und auf die Piste zu gehen. Mein Ziel ist es, die Karibische Atlantikküste Kolumbiens von der Grenze zu Venezuela ganz oben im Norden bis zum Ende in der Nähe Panamas im Westen abzufahren. Einen Abstecher in die Nachbarländer spare ich mir. Venezuela ist mir zu unsicher, nachdem sich dessen Präsident trotz Wahlniederlage erst zur dritten Amtszeit hat vereidigen lassen. Und im Westen ist eh kein Durchkommen nach Panama, denn da gibt es nur undurchdringlichen Busch und keine Straßen.

Der Weg nach Norden wird tatsächlich immer karibischer, das Wetter wird immer feuchter und heisser und die Leute noch kontaktfreudiger und lebendiger Bei einem kurzen Stopp, um einen frischen Zuckerrohrsaft zu trinken, werde ich gleich von einer ganzen Gruppe Kolumbianer umringt, die die üblichen Fragen über vorher und wohin stellen. Gut, dass ich Karten auf den Alukisten meiner BMW habe, um alles genau erklären zu können. Und aus allen Geschäften, Restaurants und Bars schallt Vallenato-Musik in einer Lautstärke, die reichen würde, um ein ganzes Viertel zu beschallen. Vallenato ist die hier vorherrschende Musikform, die hauptsächlich aus der Stadt Valledupar kommt. Und ausgerechnet in dieser lauten, wilden Stadt komme ich bei einer freichristlichen Gemeinde vorbei, in der der Pfarrer seine Jünger auf ein besseres Leben einpeitscht. Mit einer Gruppe komme ich näher ins Gespräch. Wie immer geht es auch um Fußball und ein Junge kennt sogar unseren FCA und freut sich riesig über die FCA-Fahne, die ich im schenke.


Mein erstes Ziel an der Karibischen Küste im Nordosten ist Cabo de la Vela. Das Gebiet um das Dorf ist karg, flach und sandig. Man spürt die große Armut, der Staat scheint sich weitestgehend aus der Gegend herausgezogen zu haben, die Stromleitung ist abgerissen, es gibt kaum mehr Straßen, nur noch wilde,  sandige Pisten ohne System. Das hat zur Folge, dass auf dem letzten Abschnitt zwischen Cabo de la Vela und der Grenze zu Venezuela die Grundbesitzer die Wege mit dicken Seilen versperren und man nur nach Entrichtung einer Maut durchgelassen wird. Das muss ich als Alleinreisender nicht haben, mir reicht schon die sandige Piste nach Cabo de la Vela selbst, auf der nur die Kinder die Wege mit dünnen Schnüren die Wege sperren, vermutlich zum Üben, wenn sie mal groß sind! Aber sie lassen zum Glück die Schnüre gleich fallen, wenn man ungebremst auf sie zufährt. Als ich dann meinen obligatorischen Umfaller im Sand habe und den schweren Bock alleine nicht hoch bekomme, hilft mir natürlich keiner von den Rotzlöffel. Zum Glück kommt bald ein PickUp mit Großfamilie vorbei, deren viele helfenden Hände das Motorrad gleich wieder aufgestellt haben. Und ich kann jetzt dem PickUp hinterher fahren, dessen Fahrer einen besseren Blick für die befahrbaren Stellen stellen hat als ich. Und er behält mich im Rückspiegel, falls ich wieder umfalle.

Welch Glück im Unglück! Kaum sind wir in dem kleinen Ort an der Küste angekommen, regnet es wie aus Kübeln, und das in der Wüste, in der es eigentlich nie regnet! Nasse Klamotten hätten mich nicht gestört, aber der nasse, schwere Sand wäre nahezu unpassierbar gewesen. 

Wegen der schweren Anfahrt ist Cabo de la Vela vom Massentourismus noch verschont geblieben. Entsprechend einfach geht es zu. Abends rattern die Stromgeneratoren, um Eis zum Kühlen der Lebensmittel für den nächsten Tag zu produzieren und natürlich, um die Handys zu laden. Es gibt einfache, stickige Zimmer oder Hängemattenmassenlager direkt am Strand. Ich ziehe ein Zimmer vor, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Rücken die krumme Position in einer Hängematte länger als 1h aushalten würde. Umso erholsamer, einen Tag an dem schönen Strand mit Nichtstun zu verbringen, unterbrochen nur von den Verkaufsgesprächen der einheimischen Frauen, die ihre selbstgehäkelten Taschen an die wenigen Touristen verkaufen wollen. Es ist  eigentlich wie so oft in armen Touristengebieten, es gibt gefühlt mehr Verkäufer als Touristen und die Souvenirs in den überquellenden Läden würden noch für Jahre reichen. Aber vielleicht gibt das Häkeln den Frauen zumindest eine sinnvolle Beschäftigung und etwas Würde, wenn sie schon zusehen müssen, wie ihre Landsleute aus den großen Städten mit schweren SUVs vorfahren.

Um auf meinem weiteren Weg nach Westen wieder auf die Teerstrasse zu kommen, gebe ich einem lokalen Mopedfahrer etwas Geld, damit er auf den 20km Sandpiste vorausfährt, mir die passierbaren Pfade zeigt und im Fall der Fälle beim Aufheben meiner schweren BMW mithilft.

Aber alles geht gut und ich stoße bald auf die Mayapo Beach, einem Hotspot für Kiter. Welch komplett anderes Szenario! Lauter hippe junge Leute aus den Kolumbianischen Großstädten, die scheinbar alle in den USA studiert haben, denn ihr perfektes Englisch klingt amerikanisch. Und Kiten können die wie der Teufel, mit unglaublich hohen Sprüngen. Da glaube ich gerne, dass Kiten als gefährliche Sportart gilt. Ich lasse da mal lieber die Finger davon und buche mir dafür eine Massage direkt am Strand!

Westlich von Mayapo geht die Wüste schlagartig in tropischen Regenwald über, der bis an die Küste reicht und schöne Strände hat. Zum Schutz des Waldes, der Strände und auch der indigenen Bevölkerung, die in dem Regenwald lebt, wurde bereits vor vielen Jahren der Nationalpark Tayrona eingerichtet. Wie der Schutz bei 250.000 Besuchern im Jahr nachhaltig funktionieren kann, erschließt sich mir allerdings nicht, zumal es ganze Zeltstädte im Park für  Touristen gibt, die in Scharen 6Packs und Ghettoblaster in den Park schleppen. Ich mache lieber nur eine Wanderung in den Park mit seinen schönen Stränden und Buchten und suche mir ein ruhiges Quartier außerhalb des Nationalparks.

Die kleine und ruhige Hotelanlage Los Angeles liegt gleich neben dem Nationalpark direkt am Meer, aber die Cabañas sind mir mit 90€ pro Nacht zu teuer und so kommt nach 3 Monaten Reisezeit zum ersten Mal mein Zelt zum Einsatz. Für ganz wenig Geld darf ich es direkt am Strand aufstellen. Vom Zelt aus den Mond zu sehen und das Meeresrauschen zu hören ist wunderschön. Und durch die ständig wehende Brise habe ich keine Moskitos im Zelt, ganz im Gegensatz zu den Gästen in den Cabañas.

Nach 3 Tagen geht es weiter in die beiden spanisch-historischen Städte Santa Marta und Cartagena. Mit Santa Marta werde ich nicht wirklich warm, zu dreckig ist die Altstadt. Es gibt viele Obdachlose und es richt überall nach Urin. Sicher fühle ich mich in dieser Stadt nicht wirklich. Immerhin kann man in einem Museum moderne Kunst neben dem Sterbebett Simón Bolívars, genannt „El Liberator“, dem südamerikanischen Freiheitskämpfer besichtigen. Nicht zu vergessen natürlich die Statue des berühmtesten kolumbianischen Fußballspielers, dessen Namen ihr mir gerne in das Gästebuch schreiben könnt.

Da kommt Cartagena mit seiner riesigen spanischen Altstadt und der langen, noch erhaltenen Stadtmauer ganz anders daher. Nicht umsonst machen hier die großen Kreuzfahrtschiffe fest und spucken entsprechende Mengen an Touristen aus. Die Bevölkerung ist meist schwarz und stammt von den Sklaven ab, die vom 16. bis ins frühe 19. Jahrhundert aus Afrika hierher zur Arbeit in den Zuckerrohrplantagen verschleppt wurden. So schließt sich für mich irgendwie ein Kreis, denn einige dieser Stätte in Westafrika hatte ich ja schon mal mit dem Motorrad bereist. In den oft bunt bemalten Gassen kann man den Männern beim Domino-Spiel zusehen und in manche Wohnung von außen sogar reinschauen. Und in den wenigen befahrbaren Gassen stauen sich Oldtimer, Taxen und Pferdekutschen derart, dass die Pferde schon die Heckscheibenwischer anknabbern. 

So langsam muss ich mich jetzt aber von der Karibik verabschieden und mich nach Süden Richtung Argentinien aufmachen, denn bis dahin sind es noch einige tausend Kilometer. Ich will dort mein Motorrad einwintern (in Südamerika ist da ja dann Winter), unseren Deutschen Sommer daheim verbringen und ab Oktober dann Patagonien erkunden. Mein nächstes größeres Zwischenziel ist daher die ehemals sehr gefährliche und inzwischen befriedete und hippe Großstadt Medellin. 

Die Strecke dahin bringt mich noch an einigen netten kleine karibischen Örtchen am Golf von Urabá vorbei. Auf der anderen Seite des Golfs befindet sich, fast in Sichtweite, der Darien-Gap, der Dschungel in Kolumbien und Panama, der Nordamerika von Südamerika trennt, und somit auch den Mythos Panamericana unterbricht. Für die Overlander, die von Alaska nach Feuerland wollen, bedeutet das, sehr sehr viel Geld für Flugzeug oder Schiffscontainer auszugeben. Die Küste entlang des Golfs von Urabá bringt mich nochmals an schönen Stränden vorbei, an die große Bananenplantagen angrenzen. Jetzt weiß ich endlich, wo die Bananen aus unseren Supermärkten herkommen. In den noch sehr ursprünglichen und untouristischen Küstenorten kommt Salza statt Vallenato aus den nicht minder lauten Boxen. Die Fruchtsaftverkäuferin lässt sich daher nicht lange bitten. Fachleute sagen, für einen hüftsteifen Fußballfan würde ich mich gar nicht so schlecht anstellen!

Nach 2 wunderschönen Wochen am Meer fällt es mir fast etwas schwer, die Meeresregion zu  verlassen und mich in die kältere und u.U. auch regnerische Bergregion Kolumbiens aufzumachen. Aber die Erfahrung nach inzwischen 104 Reisetagen sagt, es kommt immer was Schönes nach, immer!


Kolumbien, endlich am Ziel – Dez24/Jan25

Nur noch ein letzter Grenzübertritt und 1000km bis zu meinem großen Ziel Bogota, der +Hauptstadt Kolumbiens. Ich werde dort meinen kolumbianischen (Ex-)Arbeitskollegen und Freund Fernando treffen, der dort mit seiner deutschen Familie Heimaturlaub macht und zusammen mit seiner kolumbianischen Ursprungsfamilie Weihnachten und Silvester feiern wird. Ich bin dazu herzlich eingeladen worden.

Zuvor steht aber erstmal der Grenzübertritt an. Immigration ist wie immer kein Problem, der Deutsche Pass macht‘s möglich. Nur die Kolumbianischen Zöllner wollen es ganz genau wissen. Alle Dokumente müssen als PDF einzeln in eine spezielle App hochgeladen werden. Sogar die Motornummer wird verlangt, die bei mir aber hinter dem Auspuff versteckt ist. Da fange ich jetzt sicher nicht zum Schrauben an. Ich trage einfach die Fahrgestellnummer ein, die zum Glück nicht überprüft wird.

Ähnlich zäh ist es beim Schalter der KFZ-Versicherung. Deren System kann mit den vielen Buchstaben meiner Deutschen Passnummer nichts anfangen. Aber zum Glück finde ich auf dem Deutschen Perso eine bisher unbekannte, nur aus Ziffern bestehende Nummer, die das System schluckt.

Meine erste Stadion in Kolumbien ist der kleine Wallfahrtsort Las Lajas, in dem im 18. Jahrhundert ein gehörloses Mädchen während eines Gewitters eine Wunderheilung erfuhr und ab da hören und sprechen konnte. An der Stelle wurde später auf einem Fels eine Kirche errichtet, zu der jetzt ganze Scharen aus Ecuador und Kolumbien pilgern und um Heilung bitten. Nachdem es mir gerade recht gut geht, hebe ich mir die Bitten vorerst auf. Zumal ich hier an den Verkaufsständen auch noch schöne FCA-Schals als Weihnachtsgeschenk für Fernandos Familie finde. ( Oder haben die Farben Rot, Grün und Weiß etwa gar nichts mit meinem Herzensverein zu tun?? 😉  )

Jetzt bin ich also in dem Land, in dem man nach Deutscher Einschätzung einmal täglich von Obdachlosen ausgeraubt, dann von der Drogenmafia entführt und schließlich von der Guerilla ermordet wird. Nun, nichts davon ist wahr, aber auch nicht komplett falsch. Ja, es gibt tatsächlich die Viertel in den Großstädten, die man besser meidet, oder zumindest nachts nicht alleine mit dem Handy in der Hand durchläuft. Und es gibt Regionen, in denen Drogenbosse, die Guerilla oder Indigene Clans das Sagen haben. Aber diese Gegenden sind bekannt, wenn man sie meidet und nur am Tag reist, ist Kolumbien ein rel. sicheres Reiseland und es bleibt eigentlich nur der Strassenverkehr als die wahre Gefahrenquelle übrig!! In den Ebenen gibt es gut ausgebaute Autobahnen, da läuft der Verkehr flüssig und sicher, aber sobald es bergig wird, quält sich eine unendliche Schlange langer Trucks die Kurven rauf und runter. Jede noch so kleine Gelegenheit zum Überholen wird genutzt, und dazwischen die vielen, vielen Mopeds, die den Verkehr links und rechts überholen. Da mache ich natürlich mit, muss aber höllisch aufpassen, denn mit meinen beiden Koffern bin ich deutlich breiter als die lokalen Mopeds. Immerhin gibt es an den vielen Mautstationen eine eigene freie Spur für Motorräder, da wir echten Helden der Straße nichts bezahlen müssen. 

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In einer dunklen Waldstrecke rutscht mir dann doch fast das Herz in die Hose. In einer Ortsdurchfahrt versperren Jugendliche die Straße mit einer Schnur, um mich zum Stehen zu zwingen und Geld zu erpressen. Da gibt es nur eine Lösung: das Gas voll aufreißen, auf die Jungs zu fahren und hoffen, dass sie die Schnur fallen lassen. Das klappt 3x so gut, dass ich beim vierten Mal übersehe, dass diese Sperre eine echte Baustellensperre ist. Ich kann die Flüche der Bauarbeiter trotz Helm und Fahrlärm hören.

Die Gegend seit der Grenze ist entweder flach, mit viel Weidefläche oder Zuckerrohr Anbau, und mit 35+Grad aber ordentlich warm, oder hügelig bis bergig, wo sich dann Nachmittags die Wolken stauen und heftig abregnen.

Welch bewegender Moment, als der erste „Bogota“-Wegweiser auftaucht. Nur noch ein paar hundert km und ich bin angekommen, treffe Fernando und die Großfamilie erst in einer festlich geschmückten Vorortwohnsiedlung und dann in ihrer Grossstadtwohnung . Es beginnen entspannte Wochen, in der ich das Motorrad stehen lasse und mit der Familie quasi mitschwimme, denn jeden Tag stehen gemeinsame, von der Familie geplante Aktionen an. Ich muss mich um nichts kümmern, nur genießen. Herrlich, das ist quasi Urlaub vom Urlaub.

Am ersten Abend findet die sog. Novena im Haus von Fernandos Mutter statt. Novena ist ein gemeinschaftliches Vorweihnachtssingen an den 9 Tagen vor Weihnachten im engeren Familienkreis. Ca. 30 Verwandte sind gekommen. Soviel Verwandte habe ich ihn Deutschland gar nicht! Fernando hat mich natürlich auf Spanisch vorgestellt. Mit dem Resultat, dass seine kleinen Nichten und Neffen jetzt glauben, der Weihnachtsmann käme mit dem Motorrad aus Deutschland. Mit „stader“ Zeit hatte zumindest diese Novena nicht viel gemein, nach zwei Gebeten und ein paar ruhigeren Liedern legt die engagierte Band los, die Stühle werden weggeschobenen und es wird auf lateinamerikanische Rhythmen getanzt.

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Die ShoppingTour am nächsten Tag durch eine riesige Mall ist dann wieder wie bei uns, auch preislich! Es bleibt gar keine Zeit, um in Bogota etwas anzusehen, denn an meinem einzigen „freien“ Tag habe ich einen Termin bei BMW, um den Service für mein Motorrad machen zu lassen. V.a. der Luftfilter hat es dringend nötig. Die BMW-Werkstatt befindet sich in einem richtigen Schrauber-Viertel, in dem es ausschließlich Werkstätten oder Ersatzteilläden gibt, bzw, Strassenküchen, um die Schrauber und ihre Kunden zu verköstigen.

Leider ist Fernando‘s Deutsche Familie von der Aircondition im Flieger aus Deutschland etwas angeschlagen. Wir feiern Heiligabend daher nur im engsten Familienkreis und lassen den Abend bei einem Netflix-Familienfilm ausklingen.

Umso mehr ist danach dann los. Für die Tage um Neujahr habe wir ein schickes Hotel in Paipa, 2h nördlich von Bogota gebucht. Auf dem Weg dahin bleiben wir aber noch in paar Tage in dem kleinen Städtchen Santa Sofia, wo ein anderer Teil Fernandos Familie herkommt. Wirklich jeder scheint ihn hier zu kennen. Man begrüßt sich entsprechend mit Primo und Prima, was übersetzt Cousin und Cousine bedeutet. Das weihnachtlich geschmückte Städtchen ist meine letzte Gelegenheit, noch schnell eine gescheite Hose für die Silvesterfeier zu erwerben, ….

… ist aber auch ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge nach Villa de Leyva mit seinem schönen spanisch-kolonialen Ortskern, zu den bunten Häusern von Ráquira und für Nervenkitzel im Paso del Angel Abenteuerpark.

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Am spannendsten ist aber der Besuch zweier Pferdehöfe, in denen Turnierpferde für die Kolumbianische Gangart Trocha gezüchtet werden. Das scheint hier ein großes Business zu sein. Auf mich als kompletten Pferdelaien wirkt die Gangart wie Trippeln auf der Stelle. Ich darf es auch mal probieren, aber so richtig wohl fühle ich mich nicht auf dem Rücken des nervösen Pferdes. Fernando und seine Kinder stellen sich da schon besser an.

Das Hotel, in dem wir Silvester feiern, kann echt was. Schön an einem See gelegen, bietet es Europäisches Standart mit lecker Essen, einem großen Gym/Spa/Pool-Bereich und vielen Whirlpools mit heißem Thermalwasser. Ganz schön dekadent für einen World-Rider! Bei lateinamerikanischen Rhythmen geht dann in der Silvesternacht so richtig die Post ab. Ich habe alle Mühe, nicht vorhanden Tanzkünste zu verschleiern. Fox und Walzer wird hier ja nicht gespielt.

Zwei Tage bleiben noch, um sich von dem rauschenden Fest zu erholen. Nach mehr als zwei Wochen heißt es jetzt Abschiednehmen von Fernandos herzlicher Großfamilie, es war eine großartige gemeinsame Zeit. Die einen fahren zurück nach Bogota, die anderen müssen heim nach Deutschland und mich zieht es weiter in den Karibischen Norden Kolumbiens.